Der Judas-Schrein by Andreas Gruber

Der Judas-Schrein by Andreas Gruber

Autor:Andreas Gruber
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2011-12-29T09:35:03+00:00


Rückblende II

Grein am Gebirge, 1937

Paulsen, Grieg und die restlichen Männer von Karmanns Nachtschicht standen dicht gedrängt 350 Meter unter der Erde im Stollen des Segen-Gottes-Schachts und starrten auf die schwarze Wurzel, die sie in der Erde entdeckt hatten. Paulsen hätte lieber die Finger von Dingen gelassen, die er nicht kannte, denn als Vorarbeiter war er für die Bergmänner der Vormittagsschicht verantwortlich. Andererseits hatte sein Kumpel Dittrich Recht. Sie mussten die Wurzel so rasch als möglich entfernen, damit sie die Gleise für die Grubenhunte verlegen konnten. Oben standen die Wagons neben der Verladerampe zur Hälfte leer. Bis Mittag waren es nur noch viereinhalb Stunden; ihnen lief die Zeit davon. Ihre Schicht hatte eben begonnen und sie hätten schon längst den gebrochenen Bohrhammer auswechseln, den Kompressor anwerfen und mit den Schrämmaschinen die Steinkohle abbauen müssen. Die Gschwendtner Steinkohlenbergbau AG bezahlte ihre Arbeiter nach Leistung, und weniger Leistung bedeutete weniger Lohn. Niemand von ihnen konnte sich das erlauben. Paulsen am allerwenigsten. Oben wartete Maria mit zwei Kindern auf ihn.

Dittrich schwang die Spitzhacke hoch und ließ sie mit einem kräftigen Hieb zu Boden sausen. Was hatte der Idiot vor? Paulsen machte einen Satz ans Ende des Stollens. Mit dem Rücken zur Wand sah er, wie die Spitzhacke in die schwarze Wurzel schlug. Ein schmatzendes Geräusch ertönte, als zerplatze eine reife Frucht. Ein Raunen ging durch die Gruppe. Grieg und Karmann wichen ebenfalls zurück.

»Herrgott!«, keuchte Dittrich. Seine Brille beschlug. »Ihr stellt euch an wie ein Haufen Weiber. Mir ist egal, was dieses Ding ist - es muss weg!« Er riss die Spitzhacke aus der Wurzel, die über eine Länge von einem halben Meter aus dem Erdreich ragte, und holte ein weiteres Mal aus. Als der Stahl diesmal in die Wurzel eindrang, gab sie schlagartig nach. Die Spitzhacke versank bis zum Schaft in dem knorrigen Gebilde, sodass Dittrich durch seinen eigenen Schwung nach vorne gerissen wurde. Der Stiel prellte ihm aus den Händen.

Normalerweise hätten Grieg, Paulsen und die Männer von Karmanns Schicht lauthals aufgelacht, aber niemand wagte eine dumme Bemerkung; sogar Degel, der Bergjunge, hielt den Mund.

»Scheiße!« Dittrich zerrte die Spitzhacke aus dem Gebilde und holte ein weiteres Mal aus. »Dich krieg ich klein!«

»Halt!« Grieg stellte sich Dittrich in den Weg. Der alte Mann starrte mit seinem gesunden Auge auf die Hacke. Er hob die Karbidlampe und schirmte das Licht mit der Hand ab.

»Was ist los? Geh mir aus dem Weg!«, verlangte Dittrich.

Grieg streckte den Arm aus und fuhr mit dem Finger über die Stahlspitze der Hacke. »Hier.« Er hielt die Hand ins Licht der Lampe. Seine Fingerkuppe glänzte schwarz.

Dittrich nahm die Hacke herunter und drehte die Spitze im Licht. Der Stahl war bis zum Schaft schwarz. »Was zum Teufel ist das?« Selbst bis in sein Gesicht waren die schwarzen Tropfen gespritzt und am Brillenglas zerplatzt, doch er schien es gar nicht zu bemerken.

»Öl?« Paulsen trat einen Schritt nach vorne, wusste aber im gleichen Moment, dass es kein Öl war. »Schwarzes Harz vielleicht.«

Grieg schüttelte den Kopf. »In dieser Tiefe?«

»Was auch immer es ist«, murmelte Degel, »ihr habt es verletzt!«

Alle drehten sich zu dem Jungen um.



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